Löwengeisel

Löwengeisel - Wäre doch schade um das süße Kätzchen...

Die ukrainischen Kriegsflüchtlinge und Migranten aus aller Welt wurden und werden in Überlingen auf dem regulären Wohnungsmarkt untergebracht. Die Stadt mietet für sie Wohnungen an, was zu einer fortwährenden Wohnungsnot in Überlingen führt. Für Haushalte ohne hohes Einkommen sind die Überlinger Mieten heute nicht mehr bezahlbar. Das ist ein echtes Standortproblem für die Stadt, deren Wirtschaft natürlich auf Arbeitskräfte angewiesen ist, die auch in einer Wohnung unterkommen müssen.

Statt eine Wohnungsnot zu erzeugen, hätten auch temporär errichtete Unterkünfte wie beispielsweise Wohncontainer am Rande der Stadt für die Migranten bereitgestellt werden können. Sie haben sowieso nur ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht und müssen nach dessen Ablauf in ihre Heimat remigrieren. Die Container kann man rückstandslos wieder abbauen, wenn sie nicht mehr benötigt werden.

Die Stadt entschied sich aber für die Wohnungsnot und verfiel daraufhin in eine regelrechte Bauwut mit der Folge von Nachverdichtung (Hildegardring, KiblerRauenstein) und Ausweisung neuen Baulands (Nesselwangen, Bergle-Bambergen). Die dauerhafte Bebauung wird allerdings absehbar zu einem enormen Leerstand führen, sobald die Flüchtlinge und Migranten wieder heimgekehrt sind. Zurück bleiben dann eine ungemütlich dicht bebaute Stadt und versiegelte Flächen, die einstmals fruchtbares Ackerland waren.

Dieser Tragödie soll jetzt auch der Landschaftspark St. Leonhard zum Opfer fallen. Doch dafür wollen die Überlinger ihre grüne Schneise nicht hergeben. Widerstand hat sich formiert. Den Oberbürgermeister Jan Zeitler scheint das kalt zu lassen. Auf der letzten Podiumsdiskussion am 23. November meinte er dazu: „Wir haben die Notwendigkeit, Wohnraum zu schaffen, und hier gibt es eine Möglichkeit.“ Und weiter: „Wenn der [Bürgerentscheid] kommt, dem stellen wir uns. Ja, warum denn nicht?“ Er scheint sich seiner Sache sicher zu sein.

Das Grundstück im Landschaftspark St. Leonhard

Am 14.02.2022 ist in der regionalen Zeitung zu lesen: „Die Stadt Überlingen bietet der Schweizer Investorengruppe BG Business [Group AG] ein Grundstück in edler Lage an, um dafür das Löwen-Areal in Deisendorf zu bekommen.“ Die Grundstücksfläche wird mit 3.300 Quadratmetern beziffert. Bei der edlen Lage, die „stadtnah und doch im Grünen, in den oberen Geschossen wohl mit Seeblick“ sei, handele es sich um den Landschaftspark St. Leonhard. Am 24.05.2023 schreibt die Zeitung: „Wer hier wohnt, genießt (zumindest in der oberen Etage) See- und Alpensicht.“ Sie berichtet, „dass die Stadt im August 2021 der BG Group folgendes Angebot unterbreitete: Sie verkauft das Grundstück an der Rauensteinstraße für 1.050 Euro pro Quadratmeter und erwirbt im Gegenzug das Löwen-Areal für 237 Euro pro Quadratmeter.“ Die Zeitung beruft sich auf einen ihr zugespielten Beschluss des Gemeinderats in nichtöffentlicher Sitzung. Den wollte sie sich von der Pressestelle des Rathauses bestätigen lassen, doch diese lehnte eine Stellungnahme ab. Auch mir als Stadtrat ist es gesetzlich verwehrt, darüber Auskunft zu geben. Wenn ich mich im Folgenden auf diese Berichterstattung beziehe, dann heißt das nicht, dass ich die Informationen bestätige.

Auf BORIS-BW lassen sich die Bodenrichtwerte einsehen. Da es sich bei dem Park noch um kein Bauland handelt, hilft der dort verzeichnete Wert für Grünland von 2 Euro je Quadratmeter nicht weiter. Bessere Auskunft gibt das südlich anliegende Baugebiet, bei dem gleich zwei Preise angegeben sind: 1.900 und 1.100 Euro je Quadratmeter. Der höhere Wert gilt für Flächen mit Seesicht. Für ein Grundstück mit Seesicht lassen sich am Markt also 800 Euro pro Quadratmeter mehr erzielen. Bei einer Fläche von 3.300 Quadratmetern sind das 2,64 Millionen Euro mehr. Laut Zeitung wäre wohl der Quadratmeterpreis für Grundstücke ohne Seesicht angesetzt worden. Auf dem Städtebaulichen Entwurf zum Bebauungsplan mit dem Namen Rauensteinstraße Ost ist anhand des Schnitts Nord-Süd erkennbar, dass die oberen Geschosse der geplanten vierstöckigen Bauten in einer Höhe oberhalb der Bestandshäuser im Süden liegen und damit wohl chtatsächlich Seesicht haben.

Ich habe bei der Stadt nachgefragt:

  1. Würde es bei der geplanten Bebauungshöhe auf der Teilfläche Stockwerke mit Seesicht geben?
  2. Welche Kriterien führen dazu, dass ein Grundstück als „mit Seesicht“ eingestuft wird? Und konkret für das betreffende Gebiet: Wenn die oberste geplante Staffeletage Seesicht hat, ist das dann dafür hinreichend, das Grundstück als „mit Seesicht“ einzustufen?

Hier die erhaltenen Antworten:

zu 1: „Es liegen derzeit keine gesicherten Erkenntnisse vor, ob und falls ja, in welchen Gebäuden im geplanten Baugebiet „Rauensteinstraße Ost“ ggf. eine teilweise Seesicht gegeben sein könnte.“

zu 2: „Bei der Wertermittlung von Grundstücken wird dann bei Grundstücken mit Teilseesicht, d.h. zum Beispiel Seesicht nur aus einzelnen oberen Geschossen dann häufig der Mittelwert zwischen den beiden Lagemerkmalen mit und ohne Seesicht angesetzt.“

Im Ergebnis wurde ‒ wenn die Veröffentlichungen der Zeitung stimmen ‒ bei dem Tauschgeschäft mit der BG Business Group AG nicht geprüft, ob Seesicht gegeben ist, und deshalb der Preis vermutlich um einen Millionenbetrag zu tief angesetzt.

Das Löwen-Areal

Das Gasthaus Löwen war Treffpunkt der Vereine in Deisendorf, wurde aber 2018 aufgegeben und an die BG Business Group AG verkauft, welche eine maßlose Bebauung des Grundstücks beabsichtigte. Die Deisendorfer möchten hier aber lieber ein Dorfgemeinschaftshaus haben, weil ihnen dafür kein vergleichbares, zentral gelegenes Baugebiet zur Verfügung steht. Ihr Unmut darüber, dass das Löwen-Areal nicht rechtzeitig von der Stadt erworben wurde, macht sich kommunalpolitisch bemerkbar und so hat die Stadt schon einiges versucht, um an dieses Grundstück zu gelangen. Ein Tauschgeschäft mit der Fläche im Landschaftspark St. Leonhard wäre aus Sicht einer bauwütigen Stadtverwaltung daher ein doppelter Erfolg: Endlich das Löwen-Areal in der Hand und gleichzeitig eine Wohnbebauung auf dem Landschaftspark.

Mit dieser Verknüpfung kann die Stadtverwaltung dann auch gelassen auf einen Bürgerentscheid über die Bebauung des Landschaftsparks blicken. Denn obgleich voraussichtlich viele Anwohner dagegen stimmen werden, dürfte man auf eine starke Zustimmung aus Deisendorf rechnen: Ihr Löwen-Areal wurde dafür als Geisel genommen. Ob das wirklich Kalkül ist? Um diesen Verdacht ausräumen zu können, wollte ich in Erfahrung bringen, ob denn alles zur Erlangung des Löwen-Areals versucht wurde ‒ oder eben ein anderer möglicher Weg unterlassen wurde.

In der ersten Jahreshälfte 2023 wird bekannt, dass die BG Business Group AG in Zahlungsschwierigkeiten steckt. Ende 2023 geht sie in Konkurs. Jetzt wäre der Zeitpunkt für die Stadt Überlingen, beim Konkursverwalter vorstellig zu werden und Interesse am Deisendorfer Grundstück zu zeigen. Auf diesem Weg könnte sie eventuell auch ohne Tauschverpflichtung an das Löwen-Areal gelangen, einfach indem sie bei der Veräußerung dieses Grundstücks aus der Konkursmasse mitbietet. Eventuell ist es auch heute noch nicht zu spät dafür und eventuell ließe sich damit sogar ein Schaden in Millionenhöhe elegant vermeiden.

Daher stellte ich die Anfrage: Hat die Stadtverwaltung Kontakt mit dem zuständigen Konkursverwalter der BG Business Group AG aufgenommen und Interesse an dem Grundstück bekundet?

Die Antwort: Es wurde kein Kontakt mit dem Konkursverwalter aufgenommen.