Gemeinderatssitzung vom 13.11.2024
Deutschland ist ein dicht besiedeltes Land. Im Durchschnitt werden nur etwa 81 Prozent der benötigten Nahrungsmittel in Deutschland selbst hergestellt, der Rest muss importiert werden. Keine guten Aussichten für Krisenzeiten. Umso schlimmer, wenn jetzt der Landwirtschaft weitere fruchtbare Ackerflächen entzogen werden, um entlang der Hohrainstraße in Bambergen Wohnhäuser zu bauen. Die Erde, die uns ernährt, wird geopfert, um dort Menschen anzusiedeln, die ernährt werden müssen. Da dieses Vorhaben unsere Versorgungssicherheit verschlechtert, sollte es sehr gut begründet sein. Wenig überraschend wird dafür die „Wohnungsnot“ ins Feld geführt.
Das liest man beispielsweise in der Abwägungstabelle 2022 auf Seite 11 oder in der amtlichen Bekanntmachung im Hallo Ü auf Seite 14:
»Zur Ermittlung des konkreten Überlinger Wohnungsbedarfs hat das Institut empirica 2019 die „Wohnungsbedarfsanalyse und das Handlungskonzept Wohnen“ erstellt. Demnach ist zur Deckung des Wohnungsbedarfs (in der Hauptvariante) die Fertigstellung von 917 Wohneinheiten für den Zeitraum 2018 bis 2030 erforderlich. […] Die Aufstellung des Bebauungsplans dient der Ausweisung von Wohnbauflächen zur Deckung des Wohnbedarfs. Ohne die Aufstellung des Bebauungsplans „Bergle-Erweiterung“ in Bambergen ist es der Stadt Überlingen nicht möglich der oben beschriebenen Nachfrage an Wohnraum gerecht zu werden.«
Der vom Institut empirica ermittelte Wohnungsbedarf bis 2030 ist in der Grafik oben als blaue Linie dargestellt.
Die über fünf Jahre alte Wohnungsbedarfsanalyse geistert bis heute wie eine Untote durch den Fachbereich Stadtentwicklung. Beispielsweise wird sie auch zur Begründung der beabsichtigten Bebauung des Landschaftsparks St. Leonhard herangezogen. Im Sommer diente sie gar als Grundlage dafür, im Hallo Ü für hemmungslosen Wohnbau zu plädieren. Der Artikel im Amtsblatt strotzt vor Schlampigkeit: So wird die Neubau-Nachfrage der Studie mit dem stattgefundenen Netto-Zubau verglichen oder Zahlen ab 2019 kumuliert statt ab 2018 (mit den Rechenfehlern will ich gar nicht erst anfangen).
Da die Bedarfsanalyse aus dem Jahr 2019 von der Stadt wie ein sozialistischer Wirtschaftsplan ausgelegt wird (obwohl nicht einmal in der DDR so ein Plan länger als fünf Jahre Geltung hatte), habe ich mir mal die „Planerfüllung“ angeschaut. Das Statistische Landesamt Baden-Württemberg listet für Überlingen die jährliche Anzahl der genehmigten und der gebauten Wohnungen auf. Sie sind in der Grafik als gelbe beziehungsweise rote Linie dargestellt. Die gestrichelte Linie zeigt, dass mit Stand 2023 bereits 756 neue Wohnungen in Überlingen gebaut wurden und somit bereits im letzten Jahr der Stand erreicht war, der laut Plan erst 2027 zu erreichen gewesen wäre. Es fehlen gerade mal noch 160 neue Wohnungen bis 2030. Das wird locker erreicht werden: Allein schon auf dem Kramerareal werden hunderte Wohnungen entstehen. Da muss man gar nicht erst anfangen, den vielen Kleinkram zusammenzuzählen, sei es die Nachverdichtung im Hildegardring, das Telekom-Areal oder Kibler-Rauenstein.
Baubürgermeister Kölschbach kannte diese Zahlen übrigens überhaupt nicht. Im Gemeinderat zweifelte er sie an und vermutete, dass ich vielleicht genehmigte und gebaute Wohnungen miteinander verwechselt haben könnte. Der Gemeinderat spottete schon drauf los, verzichtete dann aber doch lieber darauf, von mir die Zahlen belegt zu bekommen.
Damit entfällt genau genommen die Grundlage für den Bebauungsplan in Bambergen. Bedauerlicherweise ‒ aber nicht ganz unerwartet ‒ hat das nicht dazu geführt, dass das Vorhaben im vorangegangenen Bauausschuss verworfen wurde. Es gibt eben noch einen anderen Grund für den Wohnbau und die uralte Wohnngsbedarfsanalyse wurde offenbar nur zur Verschleierung des tatsächlichen Grundes herangezogen.
Der tatsächliche Grund ist, dass wir heute ‒ trotz Übererfüllung des erwarteten Bedarfs ‒ überraschenderweise eine Wohnungsnot haben in dem Sinne, dass die Mietkosten stark angestiegen sind und einkommensschwache Haushalte in Überlingen keine bezahlbare Wohnung mehr finden. Ursächlich dafür ist, dass die Stadt weit über Tausend Menschen kurzfristig auf dem regulären Wohnungsmarkt untergebracht hat. Damit wurde das Angebot stark reduziert und der Preis entsprechend nach oben getrieben. Bei diesen Menschen handelt es sich um ukrainische Kriegsflüchtlinge und Migranten aus aller Welt, die nur ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht haben.
Soweit kam ich mit meiner Rede im Gemeinderat. An dieser Stelle griff Oberbürgermeister Jan Zeitler ein: „Ich beende jetzt Ihren Wortbeitrag.“
Es ist offenbar im Gemeinderat noch nicht angekommen, dass sich die Zeiten geändert haben. Seit Herbst sitzt die AfD mit im Rat. Die Wahrheit hat jetzt eine Stimme und kann nicht länger unter den Tisch fallen gelassen werden. Der Eingriff des Oberbürgermeisters ist eine letzte Zuckung alter Manier. Ich bin mir sicher, dass sich auch der Überlinger Gemeinderat in den nächsten Monaten und Jahren daran gewöhnen wird, sich mit den Tatsachen zu befassen und sie nicht länger zu ignorieren. Meinen stetigen Beitrag dazu werde ich leisten.
