Wohnungssozialismus

Die Ursachen des angespannten Wohnungsmarkts

Gemeinderatssitzung vom 19.02.2025

Wie erschreckend weit der Sozialismus institutionell ‒ und vor allem in den Köpfen ‒ zurückgekehrt ist, hat die letzte Überlinger Gemeinderatssitzung gezeigt. Stadtrat Jörg Bohm von der CDU (!) bat die Stadtverwaltung, den Wohnungsbedarf zu ermitteln. Seines Wissens nach würden in Überlingen circa 500 bis 600 Wohnungen fehlen und bei der Stadtverwaltung gäbe es eine Warteliste für die städtischen Wohnungen. Die „Schwächsten“ fänden keinen bezahlbaren Wohnraum. Dennoch werde von gewissen Bewegungen gegen neue Wohnbauten die Erforderlichkeit der Wohnbauprojekte hinterfragt und der Eindruck vermittelt, dass das Wohnungsangebot ausreiche.

Mich irritiert die Vorstellung, dass die Stadt dafür zuständig sein soll, den Bedarf eines Gutes zu ermitteln und anschließend für ein entsprechendes Angebot zu sorgen. Baubürgermeister Thomas Kölschbach ging aber darauf ein und präsentierte seine Ausarbeitung. Auf Seite 21 tauchen dort tatsächlich typisch sozialistische Erscheinungsformen auf: ein städtisches Angebot von 84 Wohnungen, ein Zuteilungsschema und eine lange Warteliste von 112 Bewerbern. Genau so kennt man es von der DDR: Wer einen Trabi haben wollte, sah sich einem begrenzten staatlichen Angebot gegenüber, musste sich dafür bewerben, wurde in eine lange Warteliste aufgenommen und bekam mit etwas Glück nach ein paar Jahren sein Auto zugeteilt. Das untrügliche Erkennungsmerkmal sozialistischer Planwirtschaft ist die Warteschlange.

Die Sitzungsvorlage enthält im letzten Satz die Aufforderung, die Fläche Rauenstein Ost zu bebauen, um „die Wohnbedürfnisse der Bevölkerung zu berücksichtigen“ ‒ dabei handelt es sich um den Landschaftspark St. Leonhard. Die Stadträte aller Fraktionen applaudierten und lobten die Präsentation. Jetzt sei ein für alle Mal belegt, dass es in Überlingen Wohnungsnot gibt. Bahn frei für die Umwandlung des Parks in Bauland (was ganz nebenbei 25 Millionen Euro in die Stadtkasse spült).

Ich sehe das anders.

Mein Weltbild ist freiheitlich. In der Marktwirtschaft gibt es keinen Mangel, weil der Preis Angebot und Nachfrage in Einklang bringt. Der Staat kommt erst dann zwingend ins Spiel, wenn ein Bürger in existentielle Not gerät wie bei Obdachlosigkeit. Hier muss der Staat Unterstützung leisten. Der Staat ist auch Teilnehmer am Markt und kann ihn auf der Angebots- und Nachfrageseite beeinflussen, was immer gründlich überlegt sein sollte. Regulärer Markt, zwingende und nicht-zwingende Staatseingriffe gilt es gut auseinanderzuhalten. In der Fragestellung wie in der Präsentation geht aber genau das alles durcheinander.

Mal ist es eine fragwürdige Bedarfsanalyse, mal ist es ein unter Marktpreis angebotenes und daher übermäßig nachgefragtes städtisches Wohnungsangebot, mal ist es die städtische Pflicht zur Bereitstellung von Sozialwohnungen für Bedürftige und mal ist es der Wunsch nach niedrigeren Mieten auf dem Wohnungsmarkt, was als Begründung für die hemmungslosen Bauabsichten angeführt wird.

Wie schon in der letzten Sitzung zu diesem Thema kramt Baubürgermeister Kölschbach die empirica-Bedarfsanalyse von 2019 aus, um anhand des vor 6 Jahren (!) prognostizierten Wohnbedarfs einen Mangel an Wohnraum auf dem regulären Markt nachzuweisen. Seine Präsentation suggeriert auf Seite 18 ein Defizit von 246 Wohnungen. Immerhin räumt er diesmal auf der Tonspur ein, dass die bestehenden Bauvorhaben der Stadt diese vermeintliche Lücke tatsächlich mehr als decken. Diese Feststellung hatte er bislang als „falsche Fakten“ der Bürgerinitiative Landschaftspark St. Leonhard bezeichnet. Aber das spiele keine Rolle, denn das ändere ja nichts an dem gewaltigen Mangel an Sozialwohnungen. So vermengt er wieder alles.

Als ich mit meinem Redebeitrag dran komme, knöpfe ich mir als erstes wieder die empirica-Studie vor, zeige die Fehler in der Kalkulation des Baubürgermeisters auf und rechne vor, dass wir gemessen an dieser Studie im Jahr 2023 einen Überschuss von 288 Wohnungen gehabt hätten. Ich frage in die Runde, warum denn dann die Mietpreise so hoch sind anstatt wie zu erwarten im Keller. Mit einer „Ursachenanalyse“, wie ich es nenne, versuche ich die Kollegen schonend an die Wahrheit heranzuführen:

Liegt es daran, dass sich das Angebot verknappt hat? Nein, denn es wurden ja seit 2018 insgesamt 671 Wohnungen zusätzlich gebaut. Liegt es vielleicht daran, dass die Nachfrage nach Zweit- und Ferienwohnungen zu stark gestiegen ist? Nein, diese sind nur um 110 Wohnungen angewachsen. Woran liegt es dann? Als letzte Ursache bleibt nur noch, dass die Zahl der Hauptwohnsitze gestiegen ist. Und tatsächlich: Während die empirica-Studie (Seite 36) im Zeitraum 2018 bis 2023 ein Wachstum von knapp 200 Einwohnern prognostiziert, haben sie tatsächlich gemäß Präsentation (Seite 12) um 648 zugenommen. Die empirica-Bedarfsprognose ist eben von der Realität überholt worden.

Da die Studie auf diese Weise schon erledigt ist, spare ich mir, die Frage aufzuwerfen, wie überhaupt jemand auf die Idee kommt, einen ungedeckten Bedarf am freien Markt ausmachen zu können, wo doch Angebot und Nachfrage durch den Preis immer im Gleichgewicht sind.

Woher kommt eigentlich das enorme Einwohnerwachstum, das die Mietpreise so stark nach oben trieb? Haben die Überlinger so viele Kinder bekommen? (So viel Spott erlaube ich mir, belasse es dann aber dabei.) Wie auch immer, der Lösungsvorschlag der Stadtverwaltung für den angespannten Wohnungsmarkt lautet: bauen, bauen, bauen.

Die zugezogenen Einwohner wurden mit Wohnungen versorgt, die die Stadt am Wohnungsmarkt erworben hat (Eingriff auf der Nachfrageseite). Das hat die Mietpreise nach oben getrieben und für große Härten gesorgt. Um sie wieder zu senken, sollen nun auf dem Landschaftspark neue Wohnungen gebaut werden (Eingriff auf der Angebotsseite). Im Endeffekt wird also indirekt unser Landschaftspark für die Ansiedlung von Bedürftigen geopfert.

Wer sagt uns aber, dass die in so kurzer Zeit zugezogenen Einwohner nicht genauso schnell wieder wegziehen? Was passiert dann mit den gebauten Wohnungen? Wir werden großen Leerstand haben, die Immobilienpreise werden abstürzen, die Gebäude verfallen und das Stadtbild wird ruiniert sein!

Deswegen schlage ich eine alternative Lösung vor: Wir schaffen als Sozialwohnungen günstige temporäre Unterkünfte, die später wieder rückstandslos abgebaut werden können. Auf diese Weise bleibt uns der Landschaftspark erhalten und wir vermeiden das Leerstand-Szenario. (Der fatale Eingriff auf der Nachfrageseite wird damit rückgängig gemacht, anstatt einen weiteren fatalen Eingriff auf der Angebotsseite vorzunehmen.)

Diesmal kann ich meine Rede tatsächlich zu Ende führen. Gemeinderatskollege Andrej Michalsen von den Grünen meint, sich über meinen Vorschlag echauffieren zu müssen, und schließt seinen kurzen hitzigen Wortbeitrag ab mit der Feststellung: „Fachkräfte brauchen keine Wohncontainer!“ Damit stellt er sich allerdings selbst ein Bein und ich greife diese Steilvorlage gerne in meiner Erwiderung auf: „Der Aussage, dass Fachkräfte keine Wohncontainer brauchen, kann ich uneingeschränkt zustimmen. Fachkräfte bedienen sich am regulären Wohnungsmarkt.“ Ob er das wohl als Denkanstoß nimmt?

In der Pause spricht mich der Lokalblatt-Reporter Hanspeter Walter an und fragt, warum ich denn nicht gesagt hätte, dass ich damit die Migranten meine. Die Antwort fällt mir leicht: Weil mir dann sofort das Wort abgeschnitten worden wäre! Ja, meint er, das fand er damals auch nicht in Ordnung.