Ehrlichkeit I

Thorsten Peters

Ausschussitzung vom 11.11.2024

Bebauungsplanentwürfe werden öffentlich ausgelegt, damit andere Behörden und betroffene Bürger die Möglichkeit haben, dazu Stellung zu nehmen. Nach dem Ende des Veröffentlichungszeitraums listet die Stadtverwaltung die eingegangenen Stellungnahmen in einer langen Tabelle auf und schreibt jeweils ihre eigene Stellungnahme bzw. Abwägung in einer eigenen Spalte rechts daneben. Solche Abwägungstabellen ziehen sich oft über zig Seiten hin. Da sich die betroffenen Bürger bei ihren Stellungnahmen nicht absprechen, wird dasselbe Problem meist mehrfach beklagt. Entsprechend findet man in der rechten Spalte dieselbe Antwort der Stadtverwaltung zahlreich kopiert. Wer sich mal einen Eindruck von so einer Tapete verschaffen will, der findet hier eine vergleichsweise harmlose Abwägungstabelle zum Bebauungsplan „Bergle-Erweiterung“, um die es hier geht.

Der Bauausschuss bzw. der Gemeinderat bekommt später die Abwägungstabelle von der Stadtverwaltung als Empfehlung vorgelegt und macht sich diese durch Beschluss zu eigen. Ich habe es bislang noch nicht erlebt, dass außer mir ein anderer Stadtrat auf die Abwägungstabelle zu sprechen kam. Es braucht einige Zeit und Mühe, sich durch die umfangreiche Liste zu kämpfen. Ich finde sie aber sehr wertvoll, weil ich durch die eingegangenen Stellungnahmen auf Sachverhalte aufmerksam werde, die sonst eben nur Ortskundige kennen.

So beschwerten sich die Anwohner bei der geplanten Bebauung entlang der Hohrainstraße in Bambergen, die Zufahrtstraße zum geplanten Wohngebiet sei auf ungefähr 100 Metern so schmal, dass sie nicht zweispurig befahrbar und ein Begegnungsverkehr nicht möglich ist. Es fehle auch ein Fußgängerweg, weshalb u. a. Kinder auf ihrem Schulweg durch zusätzlichen Verkehr gefährdet werden würden. (Seite 18 der Abwägungstabelle 2024)

Die Stadtverwaltung empfiehlt uns Stadträten darauf in der rechten Spalte als Stellungnahme den Hinweis, dass die Straßenplanung durch ein beauftragtes Ingenieurbüro erfolgt und nach den geltenden Regelwerken und Richtlinien erarbeitet worden sei. Und weiter: „Das zu erwartende zusätzliche Verkehrsaufkommen kann ebenfalls über die Straße abgewickelt werden.“

Prima, denke ich mir, die Anwohner scheinen die Enge der Straße wohl etwas überbewertet zu haben. Kurz darauf finde ich in der letzten Anlage noch das Gutachten des Ingenieurbüros und traue kaum meinen Augen. Da steht: „Bedingt durch die Sichtbehinderungen im Engstellenbereich kann es hier zu Konfliktsituationen kommen. Rückwärtsfahrten bis zur für den Begegnungsfall erforderlichen Mindestfahrbahnbreite bzw. ein Ausweichen auf private Hofflächen kann nicht ausgeschlossen werden.“ Das Gutachten entkräftet die Problematik also in keiner Weise und schreibt so ziemlich das Gegenteil von dem, was die Stadt in der Abwägungstabelle behauptet.

Im Bauausschuss konfrontiere ich Baubürgermeister Kölschbach damit und sage:

Eine ehrliche Abwägung müsste wohl eher so lauten: Ja, lieber Anwohner, es gibt tatsächlich eine Engstelle, die durch zusätzlichen Verkehr zu Konfliktsituationen führt. Und Sie haben in der Tat ein berechtigtes Interesse daran, dass es keine Gefährdung Ihrer Kinder auf dem Schulweg gibt. Auf der anderen Seite haben wir als Stadt ein Interesse daran, Wohnraum zu schaffen. Bei der Abwägung der beiden Interessen haben wir uns für den Wohnraum und gegen die Sicherheit Ihrer Schulkinder entschieden.

Herr Kölschbach fragt empört zurück, ob ich etwa behaupten will, die Stadtverwaltung sei unehrlich. Ich habe kein Problem, diese eigentlich rhetorisch gemeinte Frage mit einem klaren Ja zu beantworten, schließlich habe ich es schon beim Bebauungsplan im Bereich der Kliniken Buchinger-Wilhelmi erlebt, wie in der Abwägungstabelle ein Problem einfach geleugnet wurde, anstatt darauf einzugehen.

Da echauffiert er sich mächtig, weist es zurück und droht mir Konsequenzen an, wenn ich ihm nochmal so etwas unterstelle. Tatsächlich habe die Verwaltung nochmal telefonisch Rücksprache mit dem Ingenieurbüro gehalten und sich bestätigen lassen, dass die Engstelle für das erwartete Verkehrsaufkommen straßenverkehrsrechtlich zulässig sei. Und sollte es wider Erwarten doch zu gefährlichen Konfliktsituationen kommen, dann könne die Straße auch noch verbreitert werden, denn das sehe der gültige Bebauungsplan bereits so vor.

Die Dame aus der Bauverwaltung, die den Sachvortrag zu diesem Tagesordnungspunkt gehalten hatte, macht mir einen etwas zerknirschten Eindruck. Sie wird wohl an der Erstellung der Abwägungstabelle beteiligt gewesen sein. Sie bestätigt, was Herr Kölschbach sagt, und ergänzt, dass die Verwaltung für die Verbreiterung der Straße natürlich erst mal an die Grundstücke gelangen müsse.

Gut, mit den neuen Informationen könnte eine ehrliche Abwägung also so aussehen:

Ja, lieber Anwohner, es gibt tatsächlich eine Engstelle, die durch zusätzlichen Verkehr zu Konfliktsituationen führt. Und Sie haben in der Tat ein berechtigtes Interesse daran, dass es keine Gefährdung Ihrer Kinder auf dem Schulweg gibt. Zur Not werden wir deshalb die Straße verbreitern und dafür einen Teil Ihres Grundstücks enteignen.